Johanna Tesch, geborene Carillon, wurde 1875 in Frankfurt geboren. Johanna durfte zwar zur Schule gehen, aber einen Beruf konnte sie nicht erlernen. Das war in der Familie nicht üblich. Sie musste stattdessen sehr viel im Haushalt helfen.
1899 heiratete sie Richard Tesch und bekam drei Kinder, Friedel, Wilhelm und Carl. Das bedeutete eine Menge körperliche Arbeit, vor allem weil man früher im Haushalt keine elektrischen Geräte hatte.
Trotzdem wollte sie sich für andere Menschen einsetzen. Als Frau durfte sie nicht in eine Partei eintreten. Aber sie konnte etwas Anderes tun. Gemeinsam mit anderen Frauen gründete sie den „Bildungsverein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse“. Dieser Verein kämpfte dafür, dass Mädchen und Frauen aus der Arbeiterschaft einen Beruf erlernen konnten. Als 1909 auch Frauen in politische Parteien eintreten durften, wurde Johanna Mitglied der SPD. Dort kämpfte sie vor allem dafür, dass alle Mädchen und Frauen, die als Hausangestellte arbeiteten, mehr Rechte bekamen.
1914 begann der erste Weltkrieg und es begann eine schwere Zeit für die Familie. Friedel, der ältester Sohn, kam ums Leben.
Aber Johanna setzte sich weiter ein für ihre Idee von Gerechtigkeit. Durch ihren mutigen Kampf für die Arbeiterfrauen und ihre große Überzeugungskraft war sie in der SPD sehr geschätzt und wurde 1919 als erste weibliche Abgeordnete in die Nationalversammlung gewählt. Mit 36 anderen Frauen zog sie in die Nationalversammlung ein. Sie arbeitete jetzt als Politikerin in Berlin.
Das hieß, am Sonntag mit dem Nachtzug nach Berlin und am Freitag mit dem Nachtzug wieder zurück nach Frankfurt zur Familie zu fahren. Berlin – Frankfurt, das war früher eine lange und anstrengende Fahrt. Nachts fahren, tagsüber arbeiten und am Wochenende für die Familie da sein – so ein Leben hat es damals für eine Frau eigentlich gar nicht gegeben.
Nach vier Jahren gab sie das Amt auf. Zurück in Frankfurt kämpfte sie zusammen mit ihrem Mann weiter für bessere Lebensbedingungen von Arbeiterfrauen.
Im zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) starb ihr zweiter Sohn Wilhelm. Ihr jüngster Sohn flüchtete vor dem Nationalsozialismus in die Schweiz. Johanna besuchte ihn dort für einige Monate, wollte aber wieder zurück nach Deutschland. Das war ein großer Fehler. Weil sie sich immer für die Rechte von Menschen eingesetzt hatte und weil sie offen ausgesprochen hat, was ihr am Nationalsozialismus nicht gefiel, galt sie als Nazigegnerin. 1944 wurde sie verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Von da aus transportierte man sie in das Konzentrationslager Ravensbrück. Dort starb sie kurz vor ihrem 70 Geburtstag im März 1945.
Wohnhaus von Johanna Tesch im Stadtteil Riederwald in Frankfurt